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Kurzinfos Februar 2019
EU-Minister fordern: Rahmenabkommen muss Lohnschutz in der Schweiz verschlechtern Die Europäische Union entlarvt die Beschönigungsversuche von Bundesrat Cassis zum Rahmenabkommen. Der Schweizer Lohnschutz müsse runter, verlangen die EU-Minister unmissverständlich in ihren „Schlussfolgerungen“ zum Verhältnis zur Schweiz. Die Schweiz müsse die Flankierenden Massnamen FlaM aufheben oder so anpassen, dass sie „im Einklang mit den EU-Grundsätzen von Verhältnismäßigkeit und Nichtdiskriminierung“ stehen würden.
Damit ist klar: Bei der Annahme des Rahmenabkommens von Bundesrat Cassis käme der Schweizer Lohnschutz massiv unter Druck. Die im Abkommen vorgesehene Übernahme der EU-Rechtsgrundlagen und die Unterstellung der FlaM unter die EuGH-Rechtssprechung würden nicht nur dazu führen, dass die Schweiz einen Teil der FlaM abschaffen müsste. Sondern neu würden auch die EU-Firmen oder die EU-Behörden erfolgreich gegen Teile der Schweizer FlaM klagen können. Das Schweizer Kontroll- und Sanktionsdispositiv wäre in Gefahr.
Diese ungeschminkte Wahrheit steht in klarem Widerspruch zu den irreführenden Beschönigungen des Departementes Cassis und des Seco, welche den drohenden Abbau bei den FlaM als „gleiches Schutzniveau“ zurecht zu biegen versuchten. Die Aussagen der EU-Minister widerlegen auch die Einschätzung des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, der behauptet, dass mit «einzelnen Präzisierungen» zu den Flankierenden Massnahmen eine «tragfähige Lösung» beim Rahmenabkommen möglich sei.
Die Kritik der EU-Minister an den Schweizer FlaM ist aus der Luft gegriffen. Der Marktzugang für EU-Firmen ist voll gewährleistet. In keinem anderen Land in Europa sind gemessen an der Wohnbevölkerung so viele Entsandte tätig wie in der Schweiz. Das Freizügigkeitsabkommen verlangt zudem, dass die EU-Bürger in der Schweiz nicht diskriminiert werden („gleiche Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer“; Art. 1d). Das funktioniert aber nur dank dem starken Lohnschutz.
Die Gewerkschaften werden alle Abbauversuche bei den FlaM bekämpfen. In der Schweiz müssen Schweizer Löhne bezahlt werden. Die FlaM müssen eine rote Linie bei den Verhandlungen über das Rahmenabkommen bleiben. SGB-Reaktion auf den Bericht der EU-Minister zur Schweiz, 19. Februar 2019, Daniel Lampart
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Zivile Forschung in den Mühlen der EU-Militarisierung Im Dezember 2013 wurde beim EU-Gipfel der Grundstein für die EU-Verteidigungsforschung gelegt. 2016 folgte der EU-Kommissionsbeschluss eines EU-Verteidigungsaktionsplans (EDAP), der das EU-Rüstungsforschungsprogramm (EDRP) und den EU-Rüstungsfonds (EVF) enthält.
Der EVF mit einem Budget von 13 Mrd. Euro, finanziert ausschließlich länderübergreifende Projekte (Kooperationsprojekte). Wobei er Rüstungsforschungsprojekte zu 100% finanziert und bis zu 30% der Kosten der Prototypentwicklung. Der EVF ist eng verknüpft mit anderen EU-Programmen, wie der „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZ/PESCO), die Länder dazu verpflichtet, die Rüstungsausgaben permanent anzuheben und zumindest 2% der Militärausgaben für die Rüstungsforschung zur Verfügung zu stellen; der EU-Friedensfacility (10 Mrd. Euro) die u.a. Kosten für Auslandseinsätze deckt; oder mit Connecting Europe Facility (6,5 Mrd. Euro) mit der Straßen, Brücken und Zugstrecken „panzerfit“ gemacht werden sollen, für die schnelle Truppenverlegung innerhalb Europas.
Auch EURATOM für militärische Zwecke
Wissenschaft und Forschung kommen immer mehr in die Räder der EU-Militarisierungsmaschinerie, da die Rüstungsforschungsprogramme die zivilen Programme/Projekte nutzen und durchdringen sollen. So ruft die EU-Kommission dazu auf, dass „Horizon Europe“, also das EU-Rahmenforschungsprogramm für 2021-2027, und EURATOM-Programm ausdrücklich mit dem EU-Rüstungsfonds „Synergien anstreben“ sollen. Damit ruft die EU auch ausdrücklich dazu auf, dass über die Atomgemeinschaft EURATOM Geld und know how für die atomare Rüstung mobilisiert werden soll. Solidarwerkstatt, Linz, Februar 2019, Eveline Steinbacher
https://www.solidarwerkstatt.at/frieden-neutralitaet/zivile-forschung-in-den-muehlen-der-eu-militarisierung
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TTIP reloaded: bei den neuen EU-USA-Handelsgesprächen haben Konzernlobbygruppen die Nase vorn Zwei Jahre nach TTIP bereiten die EU-Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission Mandate für neue Freihandels-Verhandlungen mit den USA vor. Viel hat sich nicht geändert: Wie bei TTIP, durchstreifen Konzern-Lobbygruppen die Flure der Europäischen Kommission und versuchen, die Agenda zu bestimmen. Und die Kommission versucht erneut, ihre Nähe zu den Konzernen zu verbergen.
Im Juli 2018 begannen US-Präsident Donald Trump und der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, "eine neue Phase in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union". Seitdem sind Beamt*innen der EU und der USA damit beschäftigt, neue Handelsgespräche vorzubereiten. Beide Seiten haben im Januar den Entwürfe für Verhandlungsmandate veröffentlicht.
Während die Kommission darauf besteht, dass "dies ein neuer Prozess ist, der nichts mit TTIP zu tun hat", könnten diese Verhandlungen sehr wohl viele der umstrittensten Aspekte von TTIP durch die Hintertür wieder auf das Tableau bringen. Zwischen 2013 und 2016 traf TTIP in der gesamten EU auf eine beispiellose öffentliche und parlamentarische Gegenwehr. Die Bedenken in Bezug auf das Handelsabkommen reichten von seinen Bedrohungen für öffentliche Dienstleistungen über die extremen Befugnisse, die TTIP Unternehmen eingeräumt hätte, um Politik im öffentlichen Interesse zu erschweren, bis hin zu Importen unerwünschter gentechnisch veränderter Lebensmittel (GVO) und von Fracking-Gas nach Europa. Die neuen Freihandelsverhandlungen zwischen der EU und den USA rufen alte Befürchtungen wieder wach.
Die TTIP-Geister kehren zurück
Zwei Jahre nach Aussetzung der TTIP-Gespräche verfolgen uns erneut viele der Geister dieses umstrittenen Vertragswerks. Seit dem Trump-Juncker-Treffen hat die Europäische Kommission mehrere Schritte unternommen, um die Einfuhren umstrittener US-Produkte wie Fracking-Gas und genverändertem Soja auszuweiten. Dies erinnert an die TTIP-Zeiten, in denen die Kommission, um den USA zu gefallen und sie an den Verhandlungstisch zu bringen, EU-Sicherheitsstandards schon vor Beginn der offiziellen Verhandlungen abgebaut hat.
Nach dem massiv subventionierten Bau neuer Pipelines, Terminals und anderer Gasinfrastruktur ist Europa inzwischen zum Top-Käufer von Flüssig-Erdgas (LNG) aus den USA geworden. Dabei handelt es sich meist um Fracking-Gas, das umweltschädlich, klimaschädlich und auch sozial fragwürdig ist. Die Einfuhren von genverändertem US-Soja in die europäischen Tier-Fabriken haben ebenfalls stark zugenommen, und die Kommission hat gerade den Weg für Biodiesel aus US-Soja geebnet - obwohl dieser nach ihren eigenen Angaben doppelt so klimaschädlich ist wie fossiler Diesel.
Noch beunruhigender ist, dass die EU die Verhandlungen über die »regulatorische Kooperation« wieder aufnehmen will. Das würde bedeuten, dass beispielsweise Lebensmittelstandards und Sicherheitsvorschriften weitgehend hinter verschlossenen Türen durch Konzernlobbyist*innen und Freihandelsfans verhandelt werden könnten. Die "regulatorische Kooperation" soll einerseits durch offizielle Handelsverhandlungen und andererseits durch eine Reihe informeller Dialoge außerhalb der demokratischen Kontrolle des Europäischen Parlaments fortgesetzt werden. Laut einem geleakten Dokument der Europäischen Kommission vom Oktober 2018 könnten diese Gespräche viele Bereiche abdecken, von Arzneimitteln bis hin zu EU-Lebensmittel-Sicherheitsvorschriften (einschließlich umstrittener genveränderter Lebensmittel und hormonbehandelten Rindfleischs).
Die regulatorische Zusammenarbeit war einer der umstrittensten Aspekte von TTIP. Es besteht die Gefahr, dass alles, was den Interessen multinationaler Unternehmen an der Gesetzgebung der EU und der USA zuwiderläuft, ernsthaft behindert wird - zum Nachteil von Umwelt- und Gesundheitsschutz. Die US-Handelskammer bezeichnete die Regulierungszusammenarbeit einmal als "ein Geschenk, das immer wieder Geschenke macht" - und zwar der Unternehmensseite.
Dutzende von Treffen mit Lobbyist*innen der Konzerne
Wie bei TTIP dominieren hinter den Kulissen der Europäischen Kommission Konzern-Lobbyist*innen die Vorbereitung der Verhandlungen - auf Kosten von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzgruppen. Dies geht aus internen Dokumenten hervor, die die Europäische Kommission gegenüber Corporate Europe Observatory (CEO) im Rahmen einer Informationsfreiheits-Anfrage veröffentlicht hat.
In den vier Monaten nach dem Juncker-Trump-Treffen im Juli 2018 diskutierte die Handelsabteilung der Kommission den transatlantischen Freihandel ganze 49 Mal in Treffen hinter verschlossenen Türen. Nur fünf dieser Treffen (zehn Prozent) fanden mit Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden statt. Die anderen 90 Prozent entfielen auf Unternehmen wie den US-Pharmariesen Eli Lily, den US-Agrarkonzern Bunge und den skandalträchtigen deutschen Automobilkonzern Volkswagen oder auf Wirtschaftslobby-Gruppen wie den europäischen Arbeitgeberverband BusinessEurope und die US-Handelskammer.
Dieser enge Kontakt zwischen den EU-Verhandler*innen und Konzernlobbyist*innen erinnert an die TTIP-Gespräche, die weitgehend für und durch Interessengruppen des Kapitals geprägt waren (für einen guten Überblick siehe Corporate Capture in Europe, S. 26-37).
Besorgniserregende Wunschzettel der Konzerne
Die häufigen Treffen der Kommission mit Konzernlobbyist*innen sind besonders beunruhigend, wenn man sich die Wunschlisten der Industrie für ein transatlantisches Handelsabkommen ansieht. So will beispielsweise die US-amerikanische Pharma-Lobby PhRMA (Pharmaceutical Research and Manufacturers of America, Lobbying für Eli Lily, Pfizer, Sanofi und andere) die bevorstehenden Verhandlungen nutzen, um europäischen Regeln für bezahlbare Medikamente in Frage zu stellen. Ein Kabinettsmitglied der Handelskommissarin Cecilia Malmström traf sich im September 2018 mit dem PhRMA-Mitglied Eli Lilly.
Der US Grains Council, der für Agrarriesen wie Bunge, Cargill und Bayer-Monsanto lobbyiert, will Gespräche über die regulatorische Zusammenarbeit nutzen, um die Exporte von genveränderten Produkten nach Europa zu steigern, den Pestizidrückstandsgehalt in Lebensmitteln in der EU zu erhöhen und die Bemühungen der EU zur Regulierung hormonstörender Chemikalien zu untergraben. Beamt*innen der Handelsabteilung der Kommission trafen sich im November 2018 mit Bunge-Lobbyist*innen.
Während die Mandatsentwürfe der Europäischen Kommission für die neuen transatlantischen Gespräche bisher nur Zollsenkungen und »regulatorische Kooperation« umfassen, drängen Konzernlobbys auf ein viel breiteres, TTIP-ähnliches Handelsabkommen, wie es die US-Regierung anstrebt. Im Rahmen eines solchen Abkommens würde der US Grains Council eine aggressive Agenda zur Marktöffnung für Lebensmittel und Landwirtschaft vorantreiben (was den Druck auf Existenzgrundlagen von Landwirt*innen auf beiden Seiten des Atlantiks erhöhen würde). Lobbygruppen wie die US-Handelskammer und AmCham EU fordern eine weitreichende Deregulierung von Dienstleistungen (die das Recht auf eine Grundversorgung etwa mit Wasser und Gesundheitsdienstleistungen wie auch die Finanzstabilität gefährden könnte), einen noch strengeren Schutz des geistigen Eigentums (der eine bezahlbare Gesundheitsversorgung gefährden könnte), Beschränkungen des EU-Datenschutzes sowie andere umstrittene TTIP-Elemente. Der EU-Chef-Verhandler Ignacio Garcia Bercero traf sich im November 2018 mit AmCham-Lobbyist*innen und einer Delegation der US-Handelskammer.
Geheimniskrämerei um Lobby-Treffen der Kommission
Die Europäische Kommission scheint zu versuchen, ihre Kontakte zu Unternehmens-Lobbygruppen zu verschleiern, die darauf abzielen, Einfluss auf den zukünftigen transatlantischen Handelspakt zu nehmen.
Während die Kommission auf Anfrage von CEO eine Liste von Lobbygesprächen zu den künftigen Freihandels-Verhandlungen veröffentlicht hat, weigert sie sich, ihre damit verbundene Korrespondenz mit Lobbyist*innen vollständig offenzulegen (mit dem Argument, es sei zu viel Arbeit). 55 Dokumente - darunter Berichte über Treffen mit transnationalen Konzernen und Lobbygruppen wie BusinessEurope und der US-Handelskammer - wurden auch noch nicht veröffentlicht, obwohl die Informationsanfrage vor fast drei Monaten gestellt wurde, gefolgt von mehreren Erinnerungen.
Die Kommission hat sich auch weigert sich auch, der Öffentlichkeit zu sagen, wer genau die Handelsgespräche mit den USA vorbereitet. Wenn wir diese Informationen hätten, könnten wir daraus ableiten, welche Wirtschaftssektoren anvisiert werden und welche Konsequenzen drohen könnten. Die Einbeziehung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zum Beispiel würde darauf hindeuten, dass die europäischen Lebensmittel-Sicherheitsnormen zur Diskussion stehen. Unsere Anfrage nach den Mitgliedern der von Kommissionspräsident Juncker und US-Präsident Trump eingesetzten »Exekutiv-Arbeitsgruppe« zur Vorbereitung der Verhandlungen beantwortete die Kommission im November 2018 damit, dass sie keine Liste der Mitglieder habe. Sie weigerte sich auch, Berichte über Treffen zu veröffentlichen, die im Kontext der Gruppe stattfanden.
Auch das erinnert an die TTIP-Gespräche, die damals auf scharfe Kritik von Bürger*innen, Journalist*innen, Parlamentarier*innen und der Europäischen Bürgerbeauftragten gestoßen sind. Letztere hatte die Tatsache kritisiert, dass "traditionelle Methoden der Durchführung internationaler Freiandels-Verhandlungen durch Geheimhaltung und begrenzte Öffentlichkeitsbeteiligung gekennzeichnet sind. Diese traditionellen Methoden sind schlecht geeignet, um dem TTIP-Abkommen die erforderliche Legitimität zu verschaffen - einem Abkommen, das in seiner ehrgeizigsten Form zu einem transatlantischen Binnenmarkt mit verbindlichen Regeln in vielen Bereichen führen könnte, die sich auf das tägliche Leben der Bürger auswirken."
Konkret hatte die Bürgerbeauftragte der Kommission vorgeschlagen, "proaktiv Sitzungsagenden und Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen" und auch alle ihre Einreichungen zu veröffentlichen, "es sei denn, der Absender nennt gute Gründe für die Vertraulichkeit und liefert eine nicht-vertrauliche Zusammenfassung zur Veröffentlichung".
Bei den aktuellen Handelsgesprächen zwischen der EU und den USA könnte die Kommission von einer solchen Lobby-Transparenz nicht weiter entfernt sein. Die Frage ist: Warum? Was gibt es zu verbergen? Liegt es daran, dass die EU - wie die Trump-Administration - bereit ist, ein Handelsabkommen auszuarbeiten, das nur Konzernen zugute kommt? https://corporateeurope.org/de/international-trade/2019/02/ttip-reloaded-bei-den-neuen-eu-usa-handelsgespr-chen-haben 28. Februar 2019
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EU gegen Zusammenarbeit Anfang Februar 2019 haben die drei Telekomunternehmen Swisscom, Sunrise und Salt in der Schweiz Frequenzen für die neue Mobilfunktechnologie 5G ersteigert. Bereits seit Jahren laufen die Arbeiten zur Regulierung dieser neuen Technologie. Die Schweizer Behörden stehen dabei im Austausch mit ihren ausländischen Kollegen. Besonders wichtig für die Schweiz ist die Zusammenarbeit mit der EU-Regulationsbehörde für Telekommunikation, dem Body of European Regulators for Electronic Communications (Berec). Bisher konnte die Schweiz an den Sitzungen als Beobachterin teilnehmen. Doch damit ist nun Schluss.
Die Schweiz darf in den Gremien von Berec nicht mehr mitarbeiten, wie die Medienstelle auf Anfrage bestätigt. Offizieller Grund dafür ist eine Änderung des Reglements im Dezember. Laut diesem wird der Beobachterstatus für Drittländer, die nicht Mitglied der EU sind, abgeschafft. Weder die Eidgenössische Kommunikationskommission (Comcom) als Schweizer Regulator noch das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) mit seinen Experten dürfen künftig an den BerecSitzungen teilnehmen. Letzte Woche wurde ComcomPräsident Stephan Netzle darüber schriftlich informiert. Erstaunlicherweise war Netzle noch im Dezember in den Vorstand von Berec gewählt worden als Vertreter der NichtEULänder.
Die eigentlichen Gründe für den Ausschluss der Schweiz dürften allerdings die schwierigen Brexit-Verhandlungen und das fehlende institutionelle Rahmenabkommen gewesen sein, dessen ist Netzle aufgrund von Gesprächen überzeugt. Die Briten sollen sich nicht auf Vorteile berufen können, welche die EU der Schweiz gewährt hat. Zudem soll der Schweiz nach Meinung Netzles gezeigt werden,dass es ohne Rahmenabkommen auch auf anderen Gebieten der Zusammenarbeit zu einem Stillstand kommt. Das neue BerecReglement sieht vor, dass Drittstaaten nur mitarbeiten dürfen, wenn sie in diesem Bereich ein Abkommen mit der EU abgeschlossen haben. Dies ist zum Beispiel bei den EWR-Staaten Island, Norwegen und Liechtenstein sowie bei Beitrittskandidaten wie derTürkei, Montenegro oder Serbien der Fall. Als Netzle angesichts der neuen Regelung vorgeschlagen hatte, einAbkommen in diesem Bereich abzuschliessen,sei dies – so Netzle – mit Verweis auf das fehlende Rahmenabkommen abgelehnt worden.
Dass die Schweiz künftig nicht mehr an den Plenarsitzungen von Berec teilnehmen darf, ist für Netzle zwar schade, aber nicht entscheidend. «Hingegen ist der Ausschluss aus den Arbeitsgruppen für uns ein grosser Verlust», sagt er. Dabei handelt es sich um Fachgremien, in denen die Schweiz mit Experten des Bakom vertreten war. Innerhalb des Bakom ist die Rede von einer wichtigen Quelle für Knowhow, die nun wegfällt. Denn zwar findet die Regulierung der Telekom-Märkte noch immer stark national statt. Doch der internationale Austausch ist einerseits wichtig für harmonisierte Regeln, und andererseits erleichtert er die Arbeit, da sich von Erfahrungen in anderen Ländern profitieren lässt.
Der Ausschluss betrifft die Schweiz zum Beispiel beim Thema Netzneutralität. Derzeit arbeitet das Parlament in Bern an einer Formulierung, um die Netzneutralität im Fernmeldegesetz zu verankern. Danach muss der Bund diesen Artikel umsetzen. In der EU ist Netzneutralität schon länger ein Thema. Das Berec hat dazu auch eine Umsetzungsempfehlung abgegeben. Weil EUStaaten diesbezüglich bereits mehr Erfahrungen hätten, sagt Netzle, wäre ein Austausch darüber im Rahmen von Berec vorteilhaft für die Schweiz.
Die Mitarbeit in den Arbeitsgruppen bringt aber nicht nur der Schweiz einen Vorteil. Auch die anderen Länder profitierten «vom wertvollen Beitrag, den die Kollegen aus der Schweiz gemacht haben», wie es die Medienstelle von Berec formuliert. Es sei der aufrichtigeWunsch des BerecVorsitzenden, heisst es, dass Comcom und Bakom so bald als möglich wieder an den Arbeiten teilnehmen könnten, gleich wenn es die Situation zulasse. Dieses klare Bedauern vonseiten der europäischen Regulationsbehörde deutet ebenfalls darauf hin, dass der Ausschluss der Schweiz nicht ihr eigener Wunsch war. Vermutlich handelt es sich um einen weiteren Teilbereich, in dem die EU die Schweiz abstrafen will, solange sie nich bezüglich Rahmenabkommen kuschen will. So ist die Schweiz derzeit aus den Vorbereitungen für die Abwehr von Pandemien sowie aus dem Frühwarnsystem für Infektionskrankheiten ausgeschlossen, weil ein entsprechendes Abkommen fehlt. Seit Anfang Jahr erhalten mehrere Schweizer Nichtregierungsorganisationen keine EUGelder mehr, was offiziell mit der fehlenden gesetzlichen Grundlage begründet wird. Und im Bereich Forschung und Medizinaltechnik muss die Schweiz künftig ebenfalls Nachteile befürchten. Zumindest bei der befristeten Gewährung der Börsenäquivalenz bestreitet die EU den Zusammenhang mit dem Rahmenabkommen nicht. NZZ, Februar 2019, S. 22.
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Bundesrat - weg vom Fokus auf Europa Austauschprogramme für Studierende, Schüler und Berufsleute sollen in der Schweiz neue gesetzliche Grundlagen erhalten. Am Mittwoch, 13. Februar 2019, schickte der Bundesrat das totalrevidierte Gesetz über die internationale Zusammenarbeit und Mobilität in der Bildung bis zum 24. Mai in die Vernehmlassung. Der Fokus soll dabei nicht mehr auf Europa liegen: Künftig soll sich die Schweiz auch anderen internationalen Programmen anschliessen können. Die «besondere Bedeutung» der EU-Programme werde «zurzeit nicht infrage gestellt», hält der Bundesrat fest. Doch will er «die Opportunität» einer erneuten Assoziierung im Rahmen der Gesamtbeurteilung der Beziehungen der Schweiz mit der EU prüfen. Dabei will der Bundesrat Kosten und Nutzen aller Programme der EU im Bereich Bildung, Forschung und Innovation analysieren. Dies, weil die EU-Kommission «signifikante Erhöhungen» der jeweiligen Programmbudgets vorschlage, schreibt er. NZZ, 14. Februar 2019, S. 13.
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„Italienisches Istrien und Dalmatien“ Der Präsident des Europäischen Parlaments lässt das «italienische Istrien und Dalmatien» hochleben Es ist schwer vorstellbar, dass Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlaments, nicht wusste, was er sagte. «Es lebe das italienische Istrien, es leben das italienische Dalmatien und die italienischen Exilierten!», rief er aus. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren Istrien und Dalmatien Teil Jugoslawiens und gehören nun zu den Nachfolgestaaten Slowenien und Kroatien. Tajanis Rede am Sonntag beim Mahnmal in Basovizza galt den italienischen Opfern, die zwischen 1943 und 1945 von jugoslawischen Partisanen in den Dolinen des Karsts von Triest umgebracht worden waren. Unweit davon steht ein zweites Denkmal, das an slowenische Opfer des italienischen Faschismus erinnert.
Damit ist auch schon klar, auf welchem geschichtspolitischen Minenfeld sich Tajani bewegte, als er seine kontroversen Äusserungen machte. Die Reaktionen aus Slowenien und Kroatien kamen schnell. Der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic verurteilte Tajanis Worte «aufs Schärfste». Die Regierung akzeptiere keine revisionistischen Äusserungen und territoriale Ansprüche in Bezug auf Kroatien. Plenkovic, der Tajani aus seiner Zeit als EU-Parlamentarier kennt und dessen HDZ zur gleichen konservativen Parteifamilie gehört, zeigte sich auch persönlich enttäuscht. So etwas, sagte er in einem Fernsehinterview, hätte er vom Parlamentspräsidenten nicht erwartet.
Der slowenische Regierungschef Marjan Sarec stiess ins gleiche Horn und wies jeden Geschichtsrevisionismus zurück, der den Faschismus exkulpiere. Die beiden Staatschefs,die Kroatin Kolinda Grabar- Kitarovic und der Slowene Borut Pahor, kündigten an, in Brüssel und beim italienischen Präsidenten Sergio Mattarella vorstellig zu werden. NZZ, 13. Februar 2019
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EU spricht kein Geld mehr für Schweizer NGO Die EU-Kommission hat verschiedenen Schweizer Nichtregierungsorganisationen (NGO) den Geldhahn zugedreht. Rund zehn Hilfswerke erhalten seit Anfang Jahr keinen Zustupf für neue Projekte mehr. Bis anhin erhielten zahlreiche Schweizer NGO für humanitäre Hilfe jedes Jahr umgerechnet rund 50 Millionen Franken aus Brüssel. Zu den Begünstigten gehörten beispielsweise Caritas, Solidar Suisse oder Terre des hommes. Das erklärt wohl auch, dass an der Handelspolitik der EU gegenüber Afrika, der EU-Fischereipolitik vor den Küsten Westafrikas so wenig Kritik von den CH-NGOs zu hören war. Von der EU werden solche Gelder wohl strategisch vergeben: es geht darum, das eigene Image aufzubessern und die NGOs ins EU-Machtsystem einzubinden.
In einem Brief der Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission vom 21. Dezember 2018, den das Schweizer Radio SRF am 4. Februar 2019 Montag publiziert hat und der der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vorliegt, begründet die Behörde den Schritt mit der fehlenden Rechtsgrundlage. «Wir wollen niemanden bestrafen», sagte eine EU-Sprecherin vor den Medien. Der Entscheid basiere auf einer juristischen Analyse. Es gebe keinen Zusammenhang mit den stockenden Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU um ein institutionelles Rahmenabkommen. Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud, vermutet hinter dem Schritt dennoch «politische Ränkespiele ». Die Europäische Union handle vor dem Hintergrund des nahenden Brexits. Die Leidtragenden seien letztlich die Notleidenden in den Entwicklungsländern. Auch Felix Gnehm, Co-Direktor von Solidar Suisse, bedauert den Entscheid. «Mittel- und langfristig fällt für uns ein wichtiger Geldgeber weg», sagte er. Nun müssten Wege gefunden werden, mit anderen Beiträgen zu arbeiten. Doch die EU-Kommission lässt ein Türchen offen. Man sei dabei, gemeinsam mit Schweizer NGO eine Lösung mit der notwendigen gesetzlichen Grundlage zu erarbeiten, sagte eine Sprecherin. Wie weit fortgeschritten solche Gespräche sind, liess sie allerdings offen. Nicht betroffen vom Entscheid aus Brüssel sind Entwicklungsgelder von Europe Aid, dem Europäischen Amt für Zusammenarbeit. Der Zugang zu den Unterstützungsleistungen dieses EU-Amtes ist laut Experten aber schwieriger. NZZ. 5. Februar 2019.
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Handels-Abkommen CH-GB Bundesrat Parmelin und der britische Handelsminister Fox haben am 11. Febuar 2019 ein Handels-Abkommen unterzeichnet, das den Wirtschaftsverkehr Bern - London nach dem Brexit regeln soll. Fox äusserte zudem Ambitionen auf einen Vertrag über den Dienstleistungshandel. Die Eckwerte des Abkommens hatte der Bundesrat nach der Einigung im Dezember bekanntgegeben. Der Vertrag soll verhindern, dass der Wirtschaftsverkehr zwischen den beiden Ländern nach dem Brexit mit deutlich höheren Hürden konfrontiert ist, weil die Verträge Schweiz - EU plötzlich das Vereinigte Königreich nicht mehr umfassen. Der Deal Bern - London kopiert laut Bund ganz oder teilweise die Abkommen zwischen der EU und Schweiz zu Freihandel, öffentlichem Beschaffungswesen, Betrugsbekämpfung, Landwirtschaft und gegenseitiger Anerkennung von Produktzertifizierungen. NZZ. 12. Februar 2019. Da die EU die Kooperation in Europa monopolisieren will, reagierte sie pikiert auf das Abkommen.
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Plädoyer für einen linken Brexit https://monde-diplomatique.de/artikel/!5565885, Februar 2019.
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Intransparenz der Euro-Gruppe Der Leiter des Brüsseler Büros der Nichtregierungsorganisation Transparency International hat am Dienstag, den 5. Februar 2019 einen Bericht zur sogenannten Euro-Gruppe herausgegeben und diese für mangelnde Transparenz und zu wenig demokratische Kontrolle gerügt. Etwas zugespitzt wirft TI dem Gremium vor, in Hinterzimmern unter grösstmöglicher Geheimhaltung Entscheide von grosser Tragweite für die Währungsunion und damit letztlich Europa insgesamt zu treffen, ohne dafür angemessen vor der Bevölkerung geradezustehen. NZZ, 6. Februar 2019.
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EU lässt Forscher in der Schweiz im Ungewissen Nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative im Jahr 2014 setzte die EU die Schweizer Beteiligung am Forschungsprogramm Horizon 2020 auf Eis – und löste in der Schweizer Forschergemeinde grössere Schockwellen aus. Fünf Jahre später droht den Wissenschaftern mit Blick auf das Nachfolge-Programm «Horizon Europe» erneut Ungemach aus Brüssel. Einerseits überarbeitet die EU als Reaktion auf den Brexit die Teilnahmebedingungen für Drittstaaten. Andrerseits befürchten die Forscher auch Nachteile, wenn sich die Schweiz nicht zum Abschluss des Rahmenabkommens mit der EU durchringt. An einem Gespräch mit Journalisten am Rande einer Tagung in Brüssel warnten die Präsidenten der Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) Zürich und Lausanne sowie der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) am Dienstag vor den Folgen einer eingeschränkten Forschungszusammenarbeit mit der EU. «Die Forschung ist auf internationale Netzwerke angewiesen», betonte Empa-Direktor Gian-Luca Bona. Der Präsident der ETH Zürich, Joël Mesot, betonte, von den 9000 internationalen Kollaborationen seiner Hochschule seien 4900 von der EU-Kooperation abhängig. Sein Lausanner Kollege Martin Vetterli schliesslich warnte vor schädlichen Auswirkungen einer anhaltenden Phase der Unsicherheit, da Wissenschafter über längere Zeiträume hinweg Forschungsprojekte planten und verfolgten. NZZ, 6. Februar 2019, S. 16
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Es ist die EU … In Griechenland erlebte die europäistische Linke ihr Waterloo. Syriza Vorsitzender Tsipras, der bei den EU-Wahlen 2014 noch als Spitzenkandidat der "Europäischen Linkspartei" herumgereicht wurde, mutierte zum willigen Vollstrecker der brutalen EU-Sozialabbaupolitik - Verfassungsbruch inklusive: Die Syriza-Regierung räumte 2015 ein bindendes Referendum, in dem sich eine große Mehrheit der Griechinnen für ein Ende der Austeritätspolitik aussprachen, kaltblütig aus dem Weg, um die Spar- und Privatisierungsdiktate zu exekutieren. Das Dogma der Euro-Linken, die Mitgliedschaft in Euro und EU nicht in Frage zu stellen, machte aus dem eurolinken Hoffnungsträger einen neoliberalen Bettvorleger für Schäuble & Co.
Ein Vergleich zwischen Island und Griechenland zeigt auf, wie es entscheidend ist, NICHT dem EU- und Euro-Regime unterworfen zu sein,- wenn man einen sozialen und demokratischen Weg aus der Krise finden will. Ende 2008 stand lsland ebenso wie Griechenland auf Grund der Finanzkrise mit dem Rücken das 10-Fache des Bruttoinlandsprodukt. Von da an aber unterscheiden sich die Wege diametral. Während Griechenland unter dem Druck der EU in ein fatales Programm von Sozialabbau, Lohndumping und Privatisierung gepresst wurde und die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhenstieg, wurde im Nicht-EU-Land Island unter dem Druck der Bevölkerung ein völlig anderer Weg gewählt: Durch zwei von unten organisierte Volksabstimmungen wurde die Regierung gezwungen, die bereits zugesagten Zahlungen an ausländische Banken bzw. Großbritannien und Niederlande zu verweigern. 85% des Bankensystems gingen bankrott, der Rest wurde verstaatlicht und konzentriert sich seither auf das inländisches Kerngeschäft. Durch Abwertung der Währung konnte der Export stimuliert werden. Anstatt den Staatshaushalt durch sogenannte Spannaßnahmen sanieren zu wollen, setzte die Regierung in Reykjavik auf gezielte Programme, um die isländische Binnenkon junktur zu stärken. Die Steuern für Gutverdienende wurden erhöht, der Sozialstaat blieb erhalten. In Island ist weiterhin jeder Bürger krankenversichert, in Griechenland sind es Millionen nicht mehr. Die Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen Island und Griechenland könnten nicht krasser sein. Auch demokratiepolitisch liegen Lichtjahre zwischen dem Nicht-EU-Staat Island und dem EU-Staat Griechen. Island beschritt als Reaktion auf die Krise zunehmen die Stärkung der direkten und partizipativen Demokratie, Volksabstimmungen wurden konsequent umgesetzt. In Griechenland wurde das Ergebnis einer Volksabstimmung mit Füßen getreten und selbst die repräsentative Demokratie ist für Jahrzehnte weitgehend suspendiert. Die EU-Institutionen geben den Weg vor, das Parlament hat abzunicken. It' s the EU, stupid! Werkstattblatt 3/2019, S. 9.
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Die jahrelange Stagnation nach dem Nein zum EWR von 1992 hatte mehr als einen Grund Bereits 1992 musste die Schweiz über eine engere wirtschaftliche Anbindung an die EU entscheiden. Die folgenden Jahre nach der Abstimmung waren von Stagnation gekennzeichnet – doch diese erneut zu befürchten, wäre verfrüht.
von Tobias Straumann
In letzter Zeit ist wieder öfters von der legendären Abstimmung über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (ERW) die Rede. Am 6. Dezember 1992 lehnte der Souverän mit einer knappen Mehrheit von 23 000 Stimmen und einer deutlichen Mehrheit der Stände die Vorlage ab, bei einer rekordhohen Stimmbeteiligung von fast 80 Prozent. Sich an die grosse Europa-Schlacht zu erinnern, ist angebracht: Wie heute beim Institutionellen Abkommen (InstA) stand damals die Frage im Zentrum, ob die wirtschaftlichen Vorteile einer engeren Anbindung an die EU gross genug seien, um einen weitgehenden Souveränitätsverzicht zu rechtfertigen.
Der Rückblick auf die EWR-Abstimmung empfiehlt sich auch deswegen, weil man oft hört, dass das negative Verdikt des Souveräns eine langjährige wirtschaftliche Stagnation verursacht habe. Zudem wird argumentiert, dass eine Ablehnung des InstA ebenfalls hohe wirtschaftliche Kosten haben würde. Die 1990er-Jahre waren in der Tat eine schwierige Zeit. Zwischen 1991 und 1996 ist die Wirtschaft kaum nennenswert gewachsen.
Die offizielle Arbeitslosigkeit stieg von unter 1% auf über 5%, inoffiziell gar auf mindestens 10%, wenn man all jene berücksichtigt, die entlassen wurden, aber keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge bezogen. Die Bundesfinanzen liefen aus dem Ruder, die Stimmung war schlecht. In dem Umfeld erschien es plausibel, das EWR-Nein für die Stagnation verantwortlich zu machen: Die Abstimmung fand im Dezember 1992 statt, die Wirtschaft erholte sich erst 1997 wieder.
Wenn man jedoch die Wirtschaftsentwicklung genauer analysiert und die Forschungsliteratur berücksichtigt, löst sich die EWR-Erklärung schnell in Luft auf. Es gab viele Gründe, warum die Schweizer Wirtschaft gerade in jener Zeit so lange stagnierte. Die Gleichzeitigkeit mit der EWR-Abstimmung war rein zufällig. Der erste Grund für die Schweizer Misere war das ungünstige weltwirtschaftliche Umfeld.
In letzten Quartal 1990 rutschte die US-Wirtschaft in eine Rezession, ein Jahr später folgte Westeuropa. 1992/93 brach zudem das Europäische Währungssystem (EWS) auseinander, mit dem Ergebnis, dass Grossbritannien sowie die skandinavischen und südeuropäischen Länder ihre Währungen kräftig abwerteten, was die Erholung der schweizerischen Exporte behinderte. Auch der US-Dollar schwächelte bis Mitte der 1990er Jahre, und Deutschland, der wichtigste Exportmarkt der Schweiz, kam nicht vom Fleck wegen der Folgekosten der Wiedervereinigung.
Zweitens litt die Schweiz unter den Folgen einer schwerwiegenden Immobilienkrise, die ein grosses Bankensterben nach sich zog. Zwei Kantonalbanken wurden privatisiert (Appenzell Ausserrhoden, Solothurn) und drei Kantonalbanken (Bern, Genf, Waadt) mussten vom Steuerzahler gerettet werden. Die Schweizerische Volksbank und die Bank Leu verschwanden als selbständige Institute und wurden von der Credit Suisse geschluckt. Über die Hälfte der rund 180 Lokal- und Regionalbanken musste sich in die rettenden Arme der Grossbanken begeben.
Die Abschreibungen im schweizerischen Kreditgeschäft beliefen sich auf fast 50 Mrd. Fr., was nicht weniger als 10% des damaligen BIP entsprach. Im historischen Vergleich war die Bankenkrise der 1990er Jahre die kostspieligste seit Gründung des Bundesstaats. Überdies brauchen Länder, die von einer schwerwiegenden Immobilien- und Bankenkrise heimgesucht werden, bis zu sieben Jahre, bis sie sich wieder erholen, wie internationale Untersuchungen zeigen. Die Schweizer Stagnation der 1990er Jahre passt perfekt in dieses Muster.
Was die Stagnation zusätzlich verlängerte, war die Geldpolitik der Nationalbank. 1994 glaubte das Direktorium, eine weitere Zinssenkung sei nicht erforderlich, weil die Weltwirtschaft wieder wuchs und die inländische Wirtschaft erste Erholungszeichen zeigte. Man machte sich auch Sorgen, dass die auf das Jahr 1995 geplante Einführung der Mehrwertsteuer die Inflationsrate zu stark erhöhen würde. Der Optimismus erwies sich als verfrüht. Die Wirtschaft stagnierte weiter, so dass sich das Direktorium im Frühling 1995 gezwungen sah, die Zinsen weiter zu senken. In ihrer Jubiläumsschrift von 2007 räumte die SNB denn auch ein, dass die monetären Bedingungen «rückblickend als zu restriktiv» beurteilt werden können.
Wer also argumentiert, eine Ablehnung des InstA würde eine wirtschaftliche Stagnation wie in den 1990er Jahren verursachen, befindet sich auf dem Holzweg. Die Sache wird auch nicht wahrer, wenn man sie ständig wiederholt, nur weil sie den eigenen politischen Zielen dient. Im Gegenteil, die Glaubwürdigkeit leidet erst recht, denn in diesem Fall gilt die Formel: Wenn etwas Einfältiges vervielfältigt wird, wird es nur noch einfältiger. NZZ am Sonntag, 2. Februar 2019
Tobias Straumann ist Wirtschaftshistoriker an der Universität Zürich.
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