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Kurzinfos Oktober 2024



Die EU futiert sich bezüglich der Westsahara um internationales Recht

Höchstes EU-Gericht erklärt EU-Abkommen mit Marokko für rechtswidrig und dringt auf Anerkennung der von Marokko besetzten Westsahara. Berlin und Brüssel weigern sich – vor allem wegen Marokkos Beitrag zur Flüchtlingsabwehr. Die EU bricht mit mehreren Abkommen mit Marokko internationales Recht und stützt mit ihnen Rabats Fremdherrschaft über die letzte Kolonie auf dem afrikanischen Kontinent – die Westsahara. Dies bestätigt der Europäische Gerichtshof (EuGH), das oberste Gericht der EU, in einem Urteil, das Anfang Oktober 2004 die Handels- und Fischereiabkommen der Union mit dem nordafrikanischen Land für rechtswidrig erklärt hat. Ursache ist, dass die Abkommen mit Marokko geschlossen wurden, sich aber auch auf die Westsahara beziehen, die Marokko, wie der EuGH bekräftigt, rechtswidrig besetzt hat; dem Gericht zufolge muss die EU Abkommen, die das Gebiet betreffen, mit der legitimen Repräsentanz der sahrauischen Bevölkerung schließen – mit der Frente Polisario. Damit entspricht das EuGH-Urteil der Position der Vereinten Nationen, die der Westsahara aktuell einen Kolonialstatus zuschreiben. Brüssel und Berlin nehmen das Urteil „zur Kenntnis“, leiten aber keinerlei Schritte ein, ihm Rechnung zu tragen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigt an, sie wolle die „tiefe Freundschaft“ mit Marokko „auf die nächste Ebene heben“. Es geht um Flüchtlingsabwehr und um erneuerbare Energien.

Fischerei und Handel

Die Fischerei wie auch der Handel mit Agrargütern, um die es in den strittigen Abkommen mit Marokko geht, haben für die Westsahara hohe Bedeutung. Die Gewässer vor ihrer Küste sind überaus fischreich, ein Umstand, der schon in den 1960er Jahren die Kolonialmacht Spanien veranlasste, sich systematisch an den dortigen Fischbeständen zu bedienen. 1975 ließ sich Spanien von seinem Kolonialnachfolger Marokko zusagen, vor der Küste der Westsahara weiter fischen zu dürfen, bis nach seinem EU-Beitritt (1986) die EU 1988 ihr erstes Fischereiabkommen mit Rabat schloss und damit die weitere Plünderung der Fischbestände der Westsahara durch Fangflotten aus Europa sicherstellte. Im Jahr 2021 importierte die EU Fisch und Fischprodukte im Wert von rund 604 Millionen Euro von dort; im Jahr 2022 beliefen sich die Einfuhren auf einen Wert von ungefähr 504 Millionen Euro. Von den etwa 87.000 Tonnen Agrargütern, die 2022 in der Westsahara geerntet wurden – überwiegend waren es Tomaten und Melonen –, gingen 74.000 Tonnen mit einem Wert von 85,6 Millionen Euro in die EU; das waren ungefähr 85 Prozent sämtlicher Agrargüter der besetzten Westsahara.[1]

Das Urteil des EuGH

In Konflikt mit dem internationalen Recht gerät die EU dabei, weil sie die Fischerei vor der Küste der Westsahara und die Einfuhr der Agrarprodukte nicht mit der legalen Vertretung der einheimischen Bevölkerung geregelt hat, sondern mit Marokko, das in der Westsahara als koloniale Besatzungsmacht auftritt. Rabat wendet die Handels- und Fischereiabkommen, die es mit Brüssel geschlossen hat, umstandslos auf die Westsahara an; die EU wiederum billigt das genauso umstandslos. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) sowie der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben dies seit 2015 in insgesamt sieben Urteilen für rechtswidrig erklärt.[2] Die EU wiederum hat regelmäßig versucht, die Urteile trickreich zu umgehen – so durch kosmetische Änderungen im Wortlaut der Abkommen; zudem hat sie Revision gegen die Urteile eingelegt. In seinem Entscheid vom 4. Oktober hat der EuGH abschließend entschieden, dass die Abkommen weiterhin rechtswidrig sind; für ihre Korrektur hat er der EU eine Frist von einem Jahr gesetzt.[3] Insbesondere hat er festgestellt, dass Marokko keine Souveränität über die Westsahara besitzt und dass die rechtmäßige Repräsentanz von deren Bevölkerung die Frente Polisario ist. Mit ihr, nicht mit Rabat, muss die EU Fischerei und Handel mit der Westsahara regeln.

„Zur Kenntnis genommen“

Die bisherigen Reaktionen der EU-Kommission, die sich beide bei jedem nur denkbaren Anlass rühmt, internationales Recht nicht nur zu befolgen, sondern ihm auch weltweit Geltung verschaffen zu wollen, sprechen für sich. Sie kündigt nicht etwa an, dem Urteil des obersten EU-Gerichts umgehend Folge zu leisten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel äußern, sie nähmen das Urteil „zur Kenntnis“, betonten aber „den hohen Wert“, den die EU ihrer „strategischen Partnerschaft mit Marokko“ beimesse.[4] Man wolle die „tiefe Freundschaft“ mit Rabat „in den nächsten Wochen und Monaten auf die nächste Ebene heben“. In Berlin teilt das Auswärtige Amt mit, man nehme das EuGH-Urteil „zur Kenntnis“, messe jedoch der „strategischen, multidimensionalen und privilegierten Partnerschaft“ zwischen der EU und Marokko „großen Wert“ bei.[5] Auch „bilateral“ habe man zudem „die Beziehungen zu Marokko erst im Juni durch den regelmäßig stattfindenden strategischen Dialog auf Außenministerebene intensiviert“. Maßnahmen, die geeignet wären, der Westsahara, Afrikas letzter Kolonie, gegenüber Marokko zu ihrem Recht zu verhelfen, stellen weder von der Leyen in Brüssel noch Außenministerin Annalena Baerbock in Berlin in Aussicht.

Gegen die Vereinten Nationen

Damit stellt sich Brüssel offen nicht nur gegen den obersten Gerichtshof der EU, sondern auch gegen die Vereinten Nationen, die die Westsahara weiter auf ihrer Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung führen. Die Liste wurde im Jahr 1946 geschaffen und umfasste ursprünglich eine hohe Zahl damaliger Kolonien, von denen die meisten inzwischen unabhängige Staaten geworden sind. Auf der Liste verblieben sind 17 Kolonialgebiete [6], von denen die Westsahara mit ihren über 600.000 Einwohnern dasjenige mit der größten Bevölkerung ist. Die NGO Western Sahara Resource Watch (WSRW) weist außerdem darauf hin, dass „das Recht des sahrauischen Volkes auf Selbstbestimmung“ inzwischen „durch mehr als 100 UN-Resolutionen“ anerkannt wird und bereits im Jahr 1975 in einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag bestätigt wurde.[7] WSRW verlangt, dem Urteil des EuGH Rechnung tragend, von Brüssel eine „sofortige Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der Polisario-Front zur Entwicklung rechtskonformer bilateraler Beziehungen mit dem Gebiet“. Außerdem solle die EU in ihre Verträge mit Marokko eine „Territorialklausel“ integrieren, „die die Westsahara ausdrücklich ausschließt“. Nicht zuletzt fordert WSRW „alle privaten Unternehmen, die sich an Marokkos Plünderung der Ressourcen des Territoriums beteiligen, auf, die Rechtsstaatlichkeit zu respektieren“ und ihre Geschäfte „sofort zu beenden“.[8]

Gegen den EuGH

Gegenwärtig deutet allerdings nichts darauf hin, dass Berlin und die EU bereit sein könnten, dem Urteil des EuGH zu entsprechen. Marokko gilt seit Jahrzehnten als einer der wichtigsten Handlanger der EU bei der Flüchtlingsabwehr (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am Dienstag bei einem Besuch in Marokko vor dem dortigen Parlament erklärt, Paris strebe einen Ausbau der Beziehungen zu Rabat an – und zwar insbesondere mit Blick auf die Bestrebungen der EU, unerwünschte Einwanderung zu stoppen.[10] Macron äußerte zudem, man könne die Kooperation auch auf dem Feld der Ökonomie intensivieren, so etwa bei der Nutzung erneuerbarer Energien in Marokko, die mit der Produktion und dem Export grünen Wasserstoffs für die EU verfügbar gemacht werden könnten. Im Gegenzug bekräftigte Macron seine bereits Ende Juli verkündete Auffassung, „die Gegenwart sowie die Zukunft“ der Westsahara sollten „im Rahmen der marokkanischen Souveränität“ gesehen werden.[11] Ähnlich hatte bereits 2022 Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez Position bezogen.[12] Beobachter spekulieren bereits, die EU könnte sich in naher Zukunft anschließen. Dies bedeutete dann allerdings den endgültigen Bruch mit der Rechtsprechung ihres eigenen obersten Gerichts. 31. Oktober 2024, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9739

[1] 2023 Report on the impact and benefits for the population of Western Sahara of the extension of tariff preferences to products originating in Western Sahara. SWD(2024) 57 final. Brussels, 15.03.2024.

[2], [3] Urteil des EU-Gerichtshofs: Besetzte Westsahara nicht Teil der EU-Marokko-Abkommen. wsrw.org 04.10.2024.

[4] Joint Statement by President von der Leyen and High Representative/Vice-President Borrell on the European Court of Justice judgements relating to Morocco. ec.europa.eu 04.10.2024.

[5] Auswärtiges Amt zum Urteil des EuGH bezüglich der Handelsabkommen der EU mit Marokko. auswaertiges-amt.de 07.10.2024.

[6] S. dazu Kolonien im 21. Jahrhundert (I) (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9561), Kolonien im 21. Jahrhundert (III) (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9597) und Kolonien im 21. Jahrhundert (IV) (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9615).

[7] Die Besatzung der Westsahara. wsrw.org. S. auch Kolonien im 21. Jahrhundert (II). https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9578

[8] Urteil des EU-Gerichtshofs: Besetzte Westsahara nicht Teil der EU-Marokko-Abkommen. wsrw.org 04.10.2024.

[9] S. dazu Flüchtlingsabwehr und grüner Wasserstoff (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9005) und Berlin und die Menschenrechte (II). (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9667)

[10] Au Maroc, Emmanuel Macron appelle à plus de « résultats » contre l‘immigration illégale et réaffirme son soutien à la « souveraineté marocaine » au Sahara occidental. lemonde.fr 29.10.2024.

[11] Frédéric Bobin: A Rabat, Emmanuel Macron propose un « nouveau cadre stratégique » avec le Maroc. lemonde.fr 29.10.2024.

[12] Francisco Peregil, Miguel González: España toma Partido por Marruecos en el conflicto del Sáhara. elpais.com 18.03.2022. J.A.R.: Sánchez ratifica su apoyo a la propuesta marroquí sobre el Sáhara y Podemos le acusa de seguir la estela de Trump. elpais.com 08.06.2022.


25 Jahre Bilaterale Verträge: Die Sicht der Schweizer Stimmberechtigten

Das GSF führte eine Meinungsumfrage zur Einstellung der Schweizer Stimmberechtigten nach 25 Jahren Bilateralen zur EU und den Bilateralen Verträgen durch.

Es ergibt sich eine vielschichtige Wahrnehmung und ambivalente Beurteilung der Schweizer Beziehungen zu Europa und der EU im Spezifischen. Die Ergebnisse verweisen auf ein grosses Interesse an den Themen Europa und EU, jedoch auf gemischte Gefühle: 49 Prozent der Stimmberechtigten hegen negative Gefühle gegenüber der EU. Für eine Minderheit von 28 Prozent dominieren positive Gefühle.

Negative Meinungen sind inhaltlich im Verlust nationaler Souveränität, in der Bürokratie der EU und einem als undemokratisch empfundenen Entscheidungsprozess begründet. Positive Ansichten betonen die EU als Friedens- und Wohlstandsprojekt, die wirtschaftlichen Vorteile und die Einbindung in eine grössere Gemeinschaft.

Eine Mehrheit der Schweizer:innen sieht die Bilateralen Verträge insgesamt positiv, insbesondere in links-grünen Kreisen, während SVP-nahe Stimmberechtigte und Parteiunabhängige kritischer sind. Die Bilateralen Verträge gelten als wirtschaftlich wichtig, insbesondere für den Zugang zum europäischen Markt und zur Abfederung des Fachkräftemangels. Jedoch beurteilen viele die Relevanz dieser Vertragswerke für sich persönlich geringer.

Zu den negativen Auswirkungen der Bilateralen Verträge zählen für Mehrheiten eine verstärkte Zuwanderung, eine zusätzliche Belastung der Sozialwerke, der Lohndruck sowie steigende Miet- und Immobilienpreise.

Die breit geteilten Ansichten, die EU sei ein bürokratischer Moloch und könne auf die grossen Herausforderungen dieser Welt nicht ausreichend regieren, zeigen keine Wirkung auf die Beurteilung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Werden jedoch die Beziehungen zur Europäischen Union für die einzelnen Mitgliedstaaten gänzlich in Frage gestellt oder herrschen Zweifel am Fortbestand der Europäischen Union respektive deren demokratischen Integrität vor, werden die Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union als zu weitreichend taxiert. Umgekehrt verringert eine Nutzensicht - wirtschaftlich oder gesellschaftlich – diese Haltung.

Bezüglich der Zukunft der Schweiz-EU-Beziehungen befürworten 71 Prozent der Stimmberechtigten grundsätzlich die laufenden Verhandlungen zur Weiterentwicklung der bilateralen Abkommen, wobei die Dringlichkeit unterschiedlich eingeschätzt wird. Insgesamt ist die Haltung des Schweizer Stimmvolkes gegenüber der EU und den Bilateralen Verträgen von Ambivalenzen und starken politischen Differenzen geprägt. Bevölkerungsbefragung "Europa im Alltag", ©gfs.bern, Oktober 2024, https://kompasseuropa.us7.list-manage.com/track/click?u=09199576fb2c3964b548c043f&id=47144f3c68&e=c6d50e9bbf


EU-Gericht: Veggie-Wurst darf «Wurst» heissen

«Sojasticks» dürfen in der ganzen EU wieder Würstchen heissen und auch das Sojaschnitzel muss sich nicht mehr verbiegen.

Die Frage, wie pflanzliche Fleischalternativen gekennzeichnet werden dürfen, sorgte in den vergangenen Jahren für so manche hitzige Diskussion und einige Unsicherheit. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) legte Anfang Oktober nun eindeutig fest: Die immer beliebteren Veggie-Lebensmittel dürfen als «Wurst», «Schnitzel» oder «Burger» bezeichnet werden.

Ein Mitgliedsstaat könne nicht einfach bestimmen, dass eine vegane Wurst als etwas anderes etikettiert werden müsse – solange klar werde, dass das Produkt keine tierischen Bestandteile enthält.

Entscheidung sorgt für Aufatmen

Im Detail: Wenn es keine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung für ein Lebensmittel gibt, dürfe ein EU-Staat nicht verbieten, dass es mit einer «verkehrsüblichen Bezeichnung» oder einer «beschreibenden Bezeichnung» benannt werde.

Die meisten Konsumentinnen und Konsumenten wüssten sofort, was sie kaufen, auch wenn die Produkte pflanzlichen Ursprungs seien, so das Gericht. Beim Verdacht auf Irreführung steht der Klageweg offen. Die Entscheidung des EuGH stellt für die Produzenten pflanzlicher Produkte eine Erleichterung dar. Vor allem in Frankreich gab es seit 2021 strenge Vorgaben. Dagegen geklagt hatte das Unternehmen Beyond Meat und mehrere Verbände wie die Europäische Vegetarier-Union und die Association Végétarienne de France (AVF). Der französische Staatsrat hatte die Klage an den Europäischen Gerichtshof weitergereicht.

Weiterhin strenge Vorschriften für Milch, Käse, Joghurt und Co.

Trotz der sprachlichen Erleichterung bei Fleischalternativen bleibt es bei den strengen Regelungen für Milchprodukte. So dürfen Bezeichnungen wie «Sojamilch» oder «veganer Käse» weiterhin nicht verwendet werden, weil sie tierischen Produkten vorbehalten sind – trotz etablierten Begriffen wie «Scheuermilch». Viele Konsumentinnen und Konsumenten verwenden im Alltag zwar Worte wie «Hafermilch», doch auf den Verpackungen bleiben diese Bezeichnungen streng reguliert. Dies ist das Ergebnis eines EuGH-Urteils von 2017. Hersteller pflanzlicher Milchprodukte müssen also weiterhin kreative Lösungen finden wie «Schmelzscheiben», «No Milk» oder «Soja Cuisine» für pflanzenbasierte Käse-, Milch-, und Rahmalternativen.

Traditionelle Fleischindustrie im Abwehrkampf

Das aktuelle Urteil wird von Vertretern der traditionellen Fleischindustrie kritisch betrachtet. Sie befürchten Umsatzeinbussen und auf längere Sicht, dass ihre Produkte verdrängt werden könnten.

Im Benennungsstreit stehen sich beide Seiten recht unversöhnlich gegenüber. Die Fleischindustrie argumentiert, dass Konsumentinnen und Konsumenten klar erkennen müssen, ob ein Produkt Fleisch enthält oder nicht. Hersteller von pflanzlichen Alternativen sehen darin einen Versuch, die Konkurrenz kleinzuhalten. Sie betonen, dass ihre Produkte bereits fest verankert sind.

Die Konsument:innen sind da häufig schon weiter. Für die meisten sind Sojaschnitzel und Veggie-Burger längst ein Begriff, den sie von Schweinesteak und Rindsroulade unterscheiden können. Die Frage nach der Bezeichnung ist für sie meist zweitrangig – wichtiger ist die Transparenz über die Inhaltsstoffe und die Herkunft der Ware.

Vielen ist auch wichtig, welche Auswirkungen der hohe Fleisch- und Milchkonsum auf Umwelt und Klima haben, wer die milliardenschweren Subventionen und Folgeschäden ihrer Produktion bezahlt oder wie hoch die Mehrwertsteuer auf fleischlose Produkte ist.

Ein sich verändernder Markt

Für Hersteller von Kalbsroulade und Schinkenwurst ist das Urteil aber auch ein Vorteil, weil es klare Verhältnisse schafft. Jedes EU-Land hat weiterhin die Möglichkeit, eine rechtliche Vorgabe für die Benennung bestimmter Lebensmittel zu machen – was aber kaum geschehen dürfte. Diskussionen darüber, wie viele Prozent Soja oder Lupinen eine Wurst nun genau enthalten darf, um noch «fleischig» zu sein, ist der EuGH damit auch aus dem Weg gegangen. Letztlich zeigt das Urteil, dass sich der Markt weiterentwickelt. Einige Hersteller von Fleischereiprodukten positionieren sich erfolgreich mit pflanzenbasierten Wurst- und Fleischalternativen auf dem Markt. Das Unternehmen Rügenwalder Mühle beispielsweise, das seit 2014 auch fleischlose Produkte anbietet, macht damit mittlerweile mehr Umsatz als mit Teewurst und Schweineschinken. Daniela Gschweng, 25. Oktober, 2024, https://www.infosperber.ch/gesundheit/ernaehrung/eu-gericht-veggie-wurst-darf-wurst-heissen/


Neutralität Irlands unter Druck

Die irische Regierung bemüht sich um die Abschaffung des „Triple Lock“. Mit dem Begriff „Triple Lock“ werden die drei Schritte beschrieben, die Irland durchlaufen muss, bevor mehr als 12 Angehörige der irischen Verteidigungskräfte zu Auslandseinsätzen, wie z. B. friedenserhaltenden Maßnahmen, entsandt werden können.

Der erste Schritt ist die Zustimmung der Regierung, die in der Regel in einer Kabinettssitzung erfolgt. Anschließend muss das Dáil den Einsatz unserer Streitkräfte im Ausland genehmigen. In diesem Schritt debattieren die Abgeordneten und stimmen schließlich darüber ab, ob die Truppen in die betreffende Mission entsandt werden sollen. Der dritte Schritt ist das Mandat oder die Genehmigung, die vom UN-Sicherheitsrat eingeholt werden muss.

Der Triple Lock wurde als feierliches Protokoll in die Erklärung von Sevilla aufgenommen, auf die sich die irische Regierung und die Europäische Union geeinigt hatten, um die irischen Wähler, die den Vertrag von Nizza in einem Referendum am 7. Juni 2001 abgelehnt hatten, zum Umdenken zu bewegen. Die Verteidigung des Triple Lock will verhindern, dass irische Truppen ohne ein Mandat der Vereinten Nationen ins Ausland geschickt werden, und es ist die einzige sichere Garantie gegen die Beteiligung irischer Streitkräfte an fremden Kriegen und ist die wichtigste außen- und sicherheitspolitische Frage, die sich den Menschen Irlands in der kommenden Zeit stellt.

Die Abschaffung des Triple Lock wäre ein bedeutender symbolischer Schlag gegen die Autorität der Vereinten Nationen, die Irland immer unterstützt hat, und das in einer Zeit, in der diese Autorität wegen des Gemetzels in Gaza und im Libanon wie nie zuvor in Frage gestellt wird. Vor allem aber wäre es ein Verstoß gegen die feierlichen „Nationalen Erklärungen“, die von der Regierung Bertie Ahern im Jahr 2002 und der Regierung Brian Cowan im Jahr 2009 abgegeben wurden, um die Referenden zu den Verträgen von Nizza und Lissabon ein zweites Mal anzusetzen, nachdem die irischen Wähler diese Verträge zuvor abgelehnt hatten, vor allem aus Sorge über ihre möglichen Auswirkungen auf die irische Neutralität. Diese „Nationalen Erklärungen“ wurden vom Europäischen Rat der EU-Premierminister und -Präsidenten 2002 bzw. 2009 formell anerkannt und mit den Rechtsinstrumenten zur Ratifizierung der Verträge von Nizza und Lissabon verbunden, als diese in Rom hinterlegt wurden. Das Regierungsprogramm enthält auch die klare Zusage, dass alle irischen Militäroperationen in Übersee dem Triple Lock unterliegen sollen!

Eine Ablehnung dieser Verpflichtung könnte einen Verstoß gegen das Völkerrecht gemäß dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge darstellen. Die Zusagen der Regierungen Ahern und Cowan zur Beibehaltung der Triple Lock-Regelung bei den Referenden in Nizza und Lissabon wurden von allen Parteien im Dáil und Seanad unterstützt. Sie jetzt aufzugeben, würde mit Sicherheit zu einem tiefen Zynismus gegenüber irischen Politikern und ihren Versprechen führen. People’s News, 22. Oktober 2024, Frank Keoghan, https://thepeoplesnews.home.blog/2024/10/22/defend-the-triple-lock-guarantee-against-involvement-in-foreign-wars/


Die EU-Kommission hält Transparenz für ein Ärgernis

Der geheime Umgang der EU-Kommission mit ihrem 700 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramm für die Post-Covid-Zeit gibt Verschwörungstheorien über möglichen Missbrauch auftrieb. Rechnungsprüfungsorgane und zivilgesellschaftliche Gruppen haben sich darüber beschwert, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten Informationen darüber zurückhalten, wie die Hauptstädte ihre Gelder nach der Pandemie verwenden. Dieser Mangel an Transparenz hat zu Spekulationen geführt, dass das Geld in große Unternehmen und kriminellen Organisationen geflossen sei. Man weiss es allerdings nicht, weil die entsprechenden Informationen zurückgehalten werden. Wenn man nicht transparent ist, gibt es kein Vertrauen, und die Leute fangen an, Geschichten zu erfinden. Die scheidende EU-Bürgerbeauftragte Emily O'Reilly sagte, die Kommission betrachte „Transparenz als ein Ärgernis und als etwas, das die Kommission daran hindert, ihre Arbeit fortzusetzen“. People’s News, 22. Oktober 2024, https://www.people.ie/news/PN-268.pdf


Pfizergate schwärt weiter - von der Leyen hält sich bedeckt.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, schweigt seit mehr als zwei Jahren zu ihren Textnachrichten mit Albert Bourla, CEO von Pfizer, die vor dem umfangreichen COVID-Impfstoffvertrag der EU mit dem Unternehmen ausgetauscht wurden. Diese Geheimniskrämerei wirft erhebliche Bedenken hinsichtlich des Verhandlungsprozesses auf, zumal die Anzahl der Dosen erhöht wurde und der Preis pro Impfstoff Berichten zufolge um 25 % gestiegen ist.

In einem letzten Versuch, ihre Position bezüglich der Verschleierung der Verträge zu verteidigen, ficht die Kommission eine im Juli 2024 ergangene Entscheidung des EU-Gerichts an. Die Anfechtung wird vor dem höchsten europäischen Gericht, dem Europäischen Gerichtshof, verhandelt, ein Termin wurde jedoch noch nicht festgelegt.

In der Kontroverse geht es auch um die Frage, ob Textnachrichten von Kommissaren als offizielle Kommunikation eingestuft werden sollten, die dieselben Aufbewahrungs- und Zugangsprotokolle wie offizielle Dokumente rechtfertigen. Anfang 2024 entschied das zweithöchste Gericht der EU zugunsten einer Klage der New York Times, die Zugang zu diesen Nachrichten begehrte. Das Gericht kritisierte die EU-Kommission für die mangelnde Transparenz ihrer COVID-Impfstoff-Beschaffungsverträge und betonte das Recht der Öffentlichkeit, die Bedingungen eines solch monumentalen Vertrags zu verstehen.

Ein Sprecher der New York Times erklärte, dass sich Beamte nicht der Kontrolle entziehen sollten, indem sie informelle Kommunikationsmethoden nutzen, um die Aufbewahrung von Informationen zu umgehen. Obwohl die Entscheidung des Gerichts die Kritik an von der Leyen verstärkt hat, hat sie ihre Wiederwahl nicht behindert.

Die sich abzeichnende Situation wirft drängende Fragen über die mögliche Veröffentlichung der Texte, die Auswirkungen auf den künftigen Umgang von Kommissaren mit privater Kommunikation und die politischen Folgen für von der Leyen selbst auf. Die Forderung nach Transparenz bei der Beschaffung von Impfstoffen in der EU ist nach wie vor ein wichtiges Thema. People’s News, 22. Oktober 2024, https://thepeoplesnews.home.blog/2024/10/22/pfizergate-rumbles-on-von-der-leyen-is-tight-lipped/


Polen sagt Nein!

Diejenigen, die den Sieg von Donald Tusk bei den polnischen Wahlen im letzten Jahr als Sieg der EU-Befürworter bejubelt haben, müssen schwer geschockt gewesen sein, als der ehemalige Präsident des Europäischen Rates (2014-19) ankündigte, dass das Land das Recht auf Asyl vorübergehend aussetzen werde. Dies führt zu einem offensichtlichen Konflikt mit der EU, da Art. 18 der EU-Grundrechtecharta das Recht auf Asyl in der EU garantiert. Tusk hat angekündigt, dass er von der EU die Anerkennung dieser Entscheidung fordern wird. Er deutete auch an, dass Polen sich möglicherweise nicht an den neuen Migrationspakt hält, der letztes Jahr vereinbart wurde, und sagte ausdrücklich: „Wir werden keine europäischen oder EU-Ideen respektieren oder umsetzen, wenn wir sicher sind, dass sie unserer Sicherheit schaden.“

Die zunehmende Feindseligkeit gegenüber der Migration ist eine ernsthafte Bedrohung für die EU-Integration: Deutschland hat seine Grenzen vorübergehend geschlossen, während die Niederlande um eine Ausnahmeregelung von den EU-Migrationsregeln gebeten haben. Dies ist nur ein weiteres Indiz für die inneren Widersprüche der EU und das Wiedererstarken der staatlichen Souveränität - auch wenn einige der Gründe dafür nicht gefallen können.

Das EU-Recht ist oft nur so effektiv, wie die Mitgliedstaaten es wollen. In diesem Fall haben viele von ihnen beschlossen, dass einige der Grundprinzipien der Union nicht mehr für sie gelten sollen. Aber eine funktionierende EU ohne den Schengen-Raum oder eine Charta der Grundrechte, die für alle gilt, ist kaum vorstellbar. People’s News, 22. Oktober 2024, https://www.people.ie/news/PN-268.pdf


Die „irregulären Ausgaben“ der EU!

Die EU-Rechnungshof, die Ausgabenaufsichtsbehörde der EU, schätzt in ihrem Jahresbericht, dass 5,6 Prozent des EU-Haushalts im Jahr 2023 auf eine Weise ausgegeben wurden, die gegen die Regeln verstößt - euphemistisch als „irreguläre“ Ausgaben bezeichnet. Dies bedeutet einen Anstieg von 4,2 Prozent zum Vorjahr. Der Präsident des EU-Rechnungshofs, Tony Murphy, warnte vor einer in die Höhe schießenden EU-Verschuldung und erklärte gegenüber Reportern, er sei kein Fan der vorläufigen Pläne der Kommission, den nächsten siebenjährigen EU-Haushalt nach dem Vorbild des Konjunkturtopfes nach der Pandemie zu gestalten. Dieses Modell mache es „extrem schwierig“, zu überprüfen, ob das Geld sinnvoll ausgegeben werde! . People’s News, 22. Oktober 2024, https://www.people.ie/news/PN-268.pdf


UN Zukunftspakt

Der UN Zukunftspakt (englisch Pact for the Future) ist ein Abkommen, dass von der Vollversammlung der Vereinten Nationen anlässlich des Zukunftsgipfels am 22./23. September 2024 verabschiedet worden ist. Der Pakt beinhaltet 56 Ziele, mit denen Prioritäten und Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen globalen Herausforderungen vereinbart werden. Das Dokument wurde unter der Führung von Deutschland und Namibia ausgehandelt. Mit einer Mehrheit von 143 Stimmen wurde es von den 193 Mitgliedstaaten angenommen. Die Inhalte umfassen Nachhaltige Entwicklung und Entwicklungsfinanzierung, Frieden und Sicherheit auf internationaler Ebene, Wissenschaft, Technologie und Innovation sowie digitale Zusammenarbeit, Jugend und künftige Generationen; Umgestaltung der globalen, zwischenstaatlichen Institutionen; Annex I: Globale Digitalisierungs-Übereinkunft; Annex II: Erklärung zu zukünftigen Generationen.

Einerseits ist das Dokument ein Meilenstein. Es enthält die erste Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung seit einem Jahrzehnt und das erste internationale Abkommen über die Steuerung künstlicher Intelligenz überhaupt. Es unterstreicht die existenzielle Krise, die Klimawandel und Krieg darstellen. Es ist ein starkes Bekenntnis zu künftigen Generationen und jungen Menschen.

Es fehlt aber die notwendige Reform der Global Governance. Bericht um Bericht, Überarbeitung um Überarbeitung schmolzen die Formulierungen zur Bürgerbeteiligung und zur Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft dahin. Selbst die sehr vorsichtige Verpflichtung, „neue Wege der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft“ zu finden, wurde in letzter Minute gestrichen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten - von denen nur 51 % Demokratien sind - wollen ihre Macht nicht teilen. Das Wort „Demokratie“ kommt in dem Pakt nicht vor. Und eine Struktur, die in den 1940er Jahren erdacht wurde und die technologischen und erzieherischen Fortschritte, die wir seitdem gemacht haben, ignoriert, bleibt bestehen. Democracy International e.V, 22. Oktober 2024


Agrochemie-Giganten gegen den Green-Deal der EU

Vor fast fünf Jahren kündigte Ursula von der Leyen den EU Green Deal an. Die Politik der EU sollte von nun an darauf konzentrieren, den Klimawandel und den Zusammenbruch der Ökosysteme ernsthaft anzugehen. Doch dann kam die Gegenwehr der Multis: Petro-, Chemie-, Agrarindustrie-, Pestizid-, Düngemittelkonzerne, Fleischproduzenten ... und so weiter.

Corporate European Observatry (CEO), eine lobbykritische NGO, arbeitete daran, die Kampagnen der Konzerne zu untersuchen, zu kartieren und aufzudecken. So haben wir beispielsweise die durchgesickerte Lobbystrategie gegen die Farm to Fork-Pläne (ein Green-Deal-Projekt, mit dem die Lebensmittelproduktion nachhaltiger gestaltet werden soll) der mächtigen Agrobiz-Lobby Copa-Cogeca und Croplife Europe, der Lobbygruppe der Pestizidindustrie, aufgedeckt.

Diese Lobbystrategie schuf eine Echokammer von Anti-Farm2Fork-Kampagnen, die sich auf Teilergebnisse einer Reihe von akademischen „Auswirkungsstudien“ stützten, in denen behauptet wurde, dass die neuen Maßnahmen zu Produktivitätsverlusten führen würden, während die zahlreichen Vorteile für Mensch und Umwelt ignoriert wurden. Wie wir aus durchgesickerten Dokumenten erfahren haben, wurden viele dieser als „objektiv“ ausgegebenen Studien von der Industrie selbst finanziert.

Ein Chor nützlicher Untersützter schloss sich den Kampagnen an, nicht zuletzt viele rechtsgerichtete Politiker, die immer wieder die Argumente der Pestizidindustrie wiederholten, welche die Ergebnisse der verzerrten Studien verwendeten. Um der ernsten Bedrohung durch die Krise der biologischen Vielfalt zu begegnen, legte die EU einen Vorschlag für ein Gesetz zur 50-prozentigen Reduzierung von Pestiziden vor. Dies versetzte die Pestizidindustrie in den Hyperaktivitätsmodus. Erneut beleuchtete CEO interne Lobbydokumente von CropLife Europe, aus denen hervorgeht, dass die Unternehmen zwar große Reden über die Unterstützung des Green Deal schwingen, in Wirklichkeit aber eine Vielzahl von Lobbytaktiken anwendet, um ehrgeizige, verbindliche Ziele zu untergraben. Die von Forschungsinstituten wie Wageningen Economic Research durchgeführten „Auswirkungsstudien“ spielten dabei eine Schlüsselrolle, wie aus den durchgesickerten Lobbydokumenten hervorgeht.

Die koordinierten Vorstöße der Unternehmen und die organisierten Proteste der Landwirte zeigten Wirkung: Im Frühjahr 2024 kündigte Ursula von der Leyen an, das Pestizidreduktionsgesetz zurückzuziehen. Die alte Ablenkungs-, Verzögerungs- und Entgleisungstaktik, wie sie die Tabakindustrie entwickelte, hatte wieder funktioniert. Corporate Europe Observatory, 10. Oktober 2024, https://corporateeurope.org


Dunkelkammer Bundeshaus

Das Justizdepartement besetzte den Posten des obersten Asylchefs entgegen den Weisungen des Bundesrats. Die Findungskommission beriet nur mündlich. Das hat System: Bundesräte und Verwaltung umgehen zunehmend die öffentliche Kontrolle, indem sie schriftliche Aufzeichnungen vermeiden.

Es war wochenlang die heisseste Personalie in Bundesbern. Wer wird der neue Staatssekretär für Migration? Zum Zug kam jemand aus dem eigenen Haus: Vincenzo Mascioli, der seit 14 Jahren im Justizdepartement arbeitet. Zuletzt als Vizedirektor des Staatssekretariats, das er jetzt als Chef führen wird.

Der ehemalige Lehrer ist eine umstrittene Personalie. Auch deshalb verwies Justizminister Beat Jans an der Medienkonferenz nach der Wahl Masciolis durch den Bundesrat immer wieder auf die Findungskommission, die die Kandidaten auf Herz und Nieren geprüft habe.

Das Problem: Zu diesem «mehrstufigen, kompetitiven Selektionsverfahren», wie es Jans nannte, gibt es keine Dokumente der Findungskommission – obwohl Weisungen des Gesamtbundesrats explizit vorschreiben, dass das Prozedere schriftlich dokumentiert werden muss. Die Selektion durch die Findungskommission wurde – mit persönlicher Involvierung von Bundesrat Jans – trotzdem mündlich geführt. Damit setzte sich das Justizdepartement über die bundesrätlichen Weisungen hinweg. Denn diese schreiben diverse Dokumentationspflichten vor. Zunächst muss eine klassifizierte Kandidatenliste erstellt werden. Für das Ende des Verfahrens bestimmt die Weisung: «Die Findungskommission wertet die Ergebnisse aus und würdigt diese schriftlich.» Laut Auskunft des Justizdepartements ist das nicht erfolgt. Die Findungskommission habe keinerlei Dokumente erstellt. Auf Anfrage bestätigt die Medienstelle, die Findungskommission habe darauf «verzichtet», die Resultate Jans «auch noch schriftlich mitzuteilen». Dies begründet ein Sprecher damit, dass Jans schon ab der zweiten Gesprächsrunde mit vier Kandidaten, bei den Diskussionen der Findungskommission und beim Entscheid, welche drei Kandidaten ein Assessment machen sollen, mit dabei gewesen sei.

«Das wirft heikle Fragen auf»

Mascioli sei sowohl für die Findungskommission als auch für die Assessorin die erste Wahl gewesen. Auf die Frage, ob man die Weisungen bewusst missachtet habe, antwortet das Departement nicht. Es macht dennoch geltend, der Prozess des Bewerbungsverfahrens sei «dokumentiert und überprüfbar». So sei die Rückmeldung der Assessorin an die Findungskommission schriftlich festgehalten, und es gebe einen Bundesratsantrag, in dem das Departement die Wahl Masciolis begründet.

Der renommierte Verwaltungsrechtler Benjamin Schindler, Professor an der Universität St. Gallen, sagt: «Wenn der Bundesrat eine solche Weisung erlässt und man sich danach nicht daran hält, wirft das heikle Fragen auf.» Das sei problematisch. «Der Sinn der bundesrätlichen Weisungen ist, dass der Entscheid im Nachhinein nachvollziehbar ist. Wird dies so gehandhabt wie offenbar in diesem Fall, werden wichtige Personalentscheide zu einer ‹Blackbox›, bei der am Ende nie wirklich klar sein kann, warum man sich für diese Person entschieden hat», so Schindler. «Besonders bedenklich ist, dass es ausgerechnet eine Kaderposition im Justizdepartement betrifft», sagt der Staatsrechtler.

Doch der Missstand betrifft nicht nur das Departement Jans. Dieser einzelne Fall steht für einen problematischen Trend, der in der ganzen Bundesverwaltung immer sichtbarer wird. Es scheint, dass die Bundesangestellten, besonders auf den höchsten Kaderstufen, sich der Kontrolle zu entziehen versuchen, indem sie besonders heikle Geschäfte nicht mehr richtig protokollieren.

Sie tun dies mutmasslich auch, weil in der Schweiz das Öffentlichkeitsprinzip gilt. Jede Person kann von der Verwaltung grundsätzlich Einsicht in jedes amtliche Dokument verlangen. Journalisten benutzen das Gesetz immer öfter, um Vorgänge in der Verwaltung an die Öffentlichkeit zu bringen. Dabei gibt es für legitime Geheimhaltungsinteressen genügend Ausnahmen. Doch reicht das der Verwaltung nicht, kann sie das Gesetz einfach mit einem Trick unterlaufen: Schreiben die Beamten nichts auf, kann die Öffentlichkeit auch nichts einsehen.

Das überraschende Eingeständnis des Bundesjuristen

Das scheint zuletzt auch einigen Bundesräten klar geworden sein. Laut «Sonntags-Zeitung» führte etwa der damalige Finanzminister Ueli Maurer mehrere Geheimtreffen mit Credit-Suisse-Präsident Axel Lehmann und Nationalbank-Chef Thomas Jordan durch – ohne Protokoll und ohne Aktennotiz. Das kam erst im Rahmen der Parlamentarischen Untersuchungskommission zum Untergang der Credit Suisse heraus.

Im September besprach Bundesrat Albert Rösti mit dem Walliser Staatsrat Frédéric Favre sowie der Direktorin des Bundesamtes für Umwelt in Bern Wolfsabschüsse. Auch davon gibt es kein Protokoll.

Ein hochrangiger Jurist der Bundesverwaltung gab die Taktik kürzlich sogar freimütig zu. In einer Schlichtungsverhandlung mit der «NZZ am Sonntag» vor dem eidgenössischen Öffentlichkeitsbeauftragten sagte er, die Verwaltung verzichte aufgrund des Öffentlichkeitsprinzips bei gewissen Vorgängen absichtlich auf Schriftlichkeit. Es ging auch da um ein heikles Personalgeschäft auf höchster Ebene.

Der Anteil der Einsichtsgesuche, zu denen laut Verwaltung keine amtlichen Dokumente existieren, hat sich gemäss Statistik in den letzten vier Jahren auf fast zehn Prozent verdoppelt. Die Tendenz beobachtet auch Martin Stoll, Geschäftsführer des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch, der sich für eine transparente Verwaltung einsetzt. «Wenn überhaupt noch protokolliert wird, dann immer knapper, immer weniger genau. Damit wird das Öffentlichkeitsgesetz unterlaufen», sagt Stoll. «Es gibt diese taktischen Überlegungen in der Verwaltung. Doch wenn man das Gefühl hat, man kann sich irgendwie durchmogeln, und wenn dieses Gefühl sogar noch von ganz oben gestützt wird, dann umgeht man am Ende gezielt die Öffentlichkeit.»

Der Verwaltungsrechtler Schindler hält den Trend für problematisch: «Es ist aus staatspolitischer Sicht absolut zentral, dass die staatliche Tätigkeit dokumentiert wird. Nur so kann garantiert werden, dass die Verwaltung im öffentlichen Interesse und nicht willkürlich arbeitet.» Möglicherweise sei das Gesetz zu vage formuliert und erlaube der Verwaltung zu viel Spielraum: «Wer mit dem Öffentlichkeitsprinzip A sagt, muss auch B sagen und der Verwaltung klar vorschreiben, dass sie ihre Tätigkeit richtig dokumentieren muss», sagt Schindler.

Historiker: «massive Verschlechterung»

Zum Problem wird das auch für die Geschichtsschreibung. Sacha Zala, Direktor der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis) und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte, sagt: «Es steht zu befürchten, dass eine massive Verschlechterung der Aktenführung stattgefunden hat. Dies, weil die Verwaltung seit Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in internen Dokumenten nicht mehr aufschreibt, was wirklich passiert, sondern Dokumente taktisch erstellt, als seien sie eine Medienmitteilung.» Zala findet: «Deshalb wäre es dringend nötig, dass eine unabhängige Instanz die Aktenführung der Verwaltung der letzten Jahre stichprobenweise überprüft.» Das Thema sei ein grosses Problem für die zeitgeschichtliche Forschung, sagt der Historiker.

Bald wird das Vorgehen der Verwaltung die Politik beschäftigen. FDP-Nationalrat Olivier Feller will einen Vorstoss einreichen. «Hier besteht Handlungsbedarf, denn mit solchem Vorgehen wird auch die Oberaufsicht des Parlaments geschwächt. Wir müssen der Verwaltung wohl per Gesetz klarere Regeln vorgeben», sagt Feller. NZZ am Sonntag, 27. Oktober 2024, 2024, S. 9.


Die EU sucht «innovative Lösungen» zur Eindämmung der Migrationsströme

Das Asylwesen war beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs das dominierende Thema. Was noch vor wenigen Jahren als Tabubruch galt, ist mittlerweile salonfähig.

Fünf Monate können eine Ewigkeit sein. Nirgends zeigt sich dies derzeit so augenfällig wie bei der europäischen Migrationspolitik. Erst im Frühling verabschiedeten die EU-Staaten mit viel Brimborium den Migrations- und Asylpakt. Er ist noch nicht einmal umgesetzt – aber bereits jetzt erscheinen wesentliche Elemente überholt.

Am EU-Gipfel in Brüssel hat sich jedenfalls gezeigt, dass eine Mehrheit der 27 Mitgliedsstaaten deutlich weiter gehen will, als es der Pakt vorsieht. Die Migration war das Thema, das die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag am längsten und am heftigsten diskutiert haben.

Abschreckende Wirkung erwünscht

Der allgemeine Tenor der Diskussionen war klar: Das europäische Asylrecht soll strenger, verbindlicher und effizienter werden. Angesichts der länderübergreifenden Wahlerfolge von rechten Parteien wird plötzlich salonfähig, was noch vor wenigen Jahren als Tabubruch galt. Ziel ist einerseits, dem heimischen Publikum Handlungswillen zu demonstrieren. Andererseits soll das Signal in die Welt gesendet werden, dass sich potenzielle Wirtschaftsflüchtlinge gar nicht erst auf den Weg machen sollten. Ein Beobachter sprach – in Anlehnung an die seit je kompromisslose Migrationspolitik des ungarischen Ministerpräsidenten – von einer «Orbanisierung» Europas.

Das Zauberwort des Moments heisst «innovative Lösungen». Es sollen neue Wege gefunden werden, damit weniger Asylbewerber europäischen Boden betreten – und diejenigen ihn schnellstmöglich wieder verlassen, denen kein Aufenthaltsrecht erteilt wurde. Nur wie?

Der umstrittenste Punkt in der Diskussion sind sogenannte «Return Hubs», also Rückkehrzentren in sicheren Drittstaaten. Dorthin sollen Asylbewerber geschickt werden, deren Gesuch abgelehnt wurde, deren Heimatstaat sie aber aus verschiedenen Gründen nicht zurücknimmt. Die Niederlande, deren neue Regierung in den letzten Wochen verschiedentlich eine harte Haltung an den Tag gelegt hat, ist nun auch in dieser Frage vorgeprescht: Eine Ministerin reiste am Mittwoch nach Uganda, um dort die Möglichkeiten zur Errichtung eines solchen Zentrums auszuloten. Den Niederlanden schwebt vor, Personen «aus der Umgebung» des ostafrikanischen Staats dorthin abzuschieben.

«Es ist ein ernsthafter Plan, aber er muss noch ausgearbeitet werden», sagte der Ministerpräsident Dick Schoof am Donnerstag in Brüssel. Die Niederlande sehen sich in Migrationsfragen als Vorreiter: Im Vorfeld des EU-Gipfels organisierte die Vertretung, zusammen mit Italien und Dänemark, ein informelles Treffen von ähnlich gesinnten Staaten. Elf Regierungschefs nahmen teil. Man wolle das Format gerade im Hinblick auf das Gipfeltreffen im Dezember, bei dem konkrete Entscheide fallen könnten, beibehalten, sagte ein beteiligter Diplomat.

Eine «innovative Lösung» könnten auch Rückschaffungen nach Syrien sein, aus dem im Zuge des Bürgerkriegs mehrere Millionen Bürger ins Ausland geflohen sind. Weit über zehn Jahre lehnten die EU-Staaten Verhandlungen mit dem Asad-Regime ab – doch werden die Einwände jetzt neu bewertet. Eine Handvoll Staaten hat schon im Frühling angeregt, die Sicherheitslage in Syrien neu zu beurteilen und Rückschaffungen zu ermöglichen. Der österreichische Kanzler Karl Nehammer sagte im Vorfeld des EU-Gipfels, dass der Nahoststaat in vielen Bereichen jetzt wieder «dokumentiert sicher» sei. Auch Deutschland prüft derzeit, ob straffällig gewordene Syrer wieder in ihr Heimatland zurückgewiesen werden können – ähnlich wie es zuletzt mit Afghanen gelungen ist.

Scholz ist skeptisch gegenüber dem Albanien-Modell

Beim morgendlichen Stelldichein der migrationskritischsten Länder sass auch die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen am Tisch. Sie hatte schon zu Beginn der Woche den argumentativen Teppich für eine Verschärfung des Asylsystems ausgelegt. In einem Schreiben zuhanden der Mitgliedsstaaten bezeichnet sie die Rückkehrzentren in Drittstaaten als «möglichen Vorwärtsschritt».

Auch gegenüber dem Albanien-Modell zeigt sie sich offen. Nach dem Ende des Gipfeltreffens wiederholte von der Leyen, dass man das Bedürfnis nach Schutz vollkommen anerkenne. «Aber das heisst nicht, dass dieser Schutz innerhalb der EU gewährt werden muss», sagte sie. Italien hat ausgerechnet diese Woche ein Asylzentrum in dem Balkanstaat in Betrieb genommen. Dorthin werden Migranten geschafft, die in internationalen Gewässern aufgegriffen wurden. Skeptischer zeigt sich der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Konzepte, wie sie Italien nun in Albanien anwende, seien für Deutschland «nicht wirklich die Lösung», weil so nur eine verhältnismässig kleine Anzahl von Asylverfahren ausgelagert werden könne. Letztes Jahr seien mehr als 300 000 Migranten irregulär nach Deutschland gekommen, da seien «mal da 1000, mal da 2000» zu wenig, um diese Zahl deutlich zu reduzieren, so Scholz. Wichtiger sei, dass der beschlossene Migrationspakt – der einen verstärkten Schutz der Aussengrenzen beinhaltet – nun schnellstmöglich umgesetzt werde.

Zum Uganda-Vorschlag der Niederländer äusserte sich Scholz nicht explizit. Bei diesem stellt sich die Frage der logistischen und rechtlichen Umsetzbarkeit noch verstärkt. Der ugandische Aussenminister sagte gegenüber Reuters am Donnerstag, er gehe nicht davon aus, dass seine Regierung ein grosses Zentrum akzeptieren werde. Bereits jetzt lebten 1,6 Millionen Flüchtlinge aus umliegenden Staaten in seinem Land.

Schlusserklärung doch noch verabschiedet

Während des ganzen Gipfeltages war unklar, ob sich die Staats- und Regierungschef auf eine substanzielle Schlusserklärung einigen können. Im Verlauf des Abends gelang es dann doch noch. Gegenüber dem Entwurf, der bereits im Verlauf der Woche zirkulierte, fällt vor allem ein Punkt auf: Die aktuellen Asyl-Probleme Polens werden explizit erwähnt – ein Etappensieg fürs fünftgrösste EU-Land, das auf diesen Punkt gedrängt hatte. Über Weissrussland gelangen aktuell wieder mehr Migranten nach Polen, weshalb Regierungschef Donald Tusk kürzlich angekündigt hat, das Asylrecht teilweise aussetzen zu wollen.

Die EU-Leader drücken Polen nun ihre Solidarität aus und betonen ihre Entschlossenheit, die Aussengrenzen effizient zu schützen. «Besondere Umständen erfordern besondere Massnahme», heisst es in der Erklärung. Bedeutet dies, dass neuerdings auch die sogenannten Push-backs, bei denen Migranten gleich nach dem Grenzübertritt ohne Prüfung «zurückgeschoben» werden, von der EU gebilligt werden?

Nein, sagte Bundeskanzler Scholz anlässlich einer Pressekonferenz am späten Abend. Man wolle an den Aussengrenzen alle Möglichkeiten ausschöpfen, dies müsse aber «im Rahmen des europäischen und internationalen Rechts» erfolgen. NZZ, 18. Oktober 2024, S. 1


Längste Rezession der Nachkriegszeit: Österreichs Wirtschaft ist das europäische Schlusslicht

Österreichs Wirtschaftslage ist noch schlechter als angenommen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) sowie das Institut für Höhere Studien (IHS) korrigierten am Freitag ihre Schätzungen vom Sommer nach unten und rechnen nun für das laufende Jahr mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,6 Prozent. Weil die Wirtschaft bereits im vergangenen Jahr um 1 Prozent geschrumpft war, handelt es sich um die längste Rezession der Nachkriegszeit, wie der Wifo-Chef Gabriel Felbermayr erklärte.

Auch für das kommende Jahr erwarten die Institute eine schwache Konjunktur mit einem Plus von nur noch 1 Prozent (Wifo) oder sogar leicht darunter (IHS). Auch diese Prognosen fallen schlechter aus als noch im Sommer. Felbermayr begründete dies unter anderem mit der anhaltenden Krise der Industrie und fallenden Warenexporten, die 3,5 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres liegen. Sowohl Wifo wie IHS erwarten deshalb auch eine höhere Arbeitslosigkeit von 7 Prozent. Preisbereinigt steigen die Haushaltseinkommen wegen der Lohnsteigerungen bei nachlassender Inflation zwar deutlich. Aber das wirkt sich erstaunlich wenig auf den Konsum aus, der laut Felbermayr viel zu wenig wächst, um die schwachen Investitionen auszugleichen. Stattdessen sparen die Menschen das Geld, was der Ökonom zum einen mit dem Inflationsschock erklärt, der der Bevölkerung immer noch in den Knochen stecke. Zum anderen bewerte die Bevölkerung die ökonomische Lage als nicht nachhaltig. Es komme zu «Vorsichtssparen» wegen fehlender Zuversicht.

In Europa falle Österreich damit zurück, sagte der IHS-Chef Holger Bonin mit Verweis auf die letzten sechs Quartale mit bekannten Daten. Das Land halte die rote «Konjunkturlaterne». Wenn das so weitergehe, drohe Österreich ein schleichender Abstieg im Vergleich zu den anderen europäischen Volkswirtschaften. Als weitere Ursachen nannte Bonin die Probleme des wichtigsten Handelspartners Deutschland, die Verteuerung der Energie und die im Vergleich zum Euro-Raum stark gestiegenen Löhne, die zulasten der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie gehen.

Die düsteren Prognosen kommen zu einem heiklen Zeitpunkt: Österreich hat am vergangenen Wochenende gewählt und der rechtspopulistischen FPÖ einen grossen Sieg beschert. Derzeit finden erste Gespräche im Hinblick auf eine voraussichtlich äusserst schwierige Koalitionsbildung statt. Der Handlungsspielraum für die künftige Regierung wird dabei vom hohen Budgetdefizit eingeschränkt: Am Donnerstag und damit just vier Tage nach der Wahl erhöhte das Finanzministerium die Defizitprognose für das Budget des laufenden Jahres auf 3,3 Prozent des BIP, es liegt damit deutlich über der Maastricht-Grenze. Wifo und IHS schätzen es sogar noch etwas höher.

Das ist insofern brisant, als der dafür zuständige Fiskalrat schon vor Monaten erklärte, Österreichs Defizit werde die europäischen Konvergenzkriterien verfehlen. Die Regierung wies das allerdings zurück. Bundeskanzler Karl Nehammer von der konservativen ÖVP erklärte im Wahlkampf entgegen allen Expertenmeinungen, das Land brauche kein Sparpaket. Allein um die EU-Regeln einzuhalten, wird Wien aber im kommenden Jahr rund 3 Milliarden Euro einsparen müssen.

Entsprechend empört waren die Reaktionen der Oppositionsparteien auf die jüngsten Hiobsbotschaften. Die Regierung hinterlasse einen Scherbenhaufen, klagte etwa die FPÖ. Die liberale Partei Neos warf ihr sogar vor, die Bevölkerung aus wahltaktischen Gründen belogen zu haben.

In wirtschaftspolitischen Fragen hätten die Wahlsiegerin FPÖ und die ÖVP weitgehende Überschneidungen, die Konservativen schliessen aber eine Zusammenarbeit mit dem FPÖ-Chef Herbert Kickl aus. Wahrscheinlicher ist deshalb eine Koalition der ÖVP mit den Sozialdemokraten – möglicherweise erweitert um Neos. Während die ÖVP hofft, über eine Ankurbelung des Wachstums das Defizit zu verringern, will die SPÖ Reiche höher besteuern. Wie sich die Parteien auf eine echte Reformagenda einigen wollen, ist derzeit fraglich.

Ein Sparpaket könnte die Konjunktur abwürgen

Eine solche ist aber für die beiden Wirtschaftsforschungsinstitute zwingend. Es bestehe kein Spielraum für teure Kompromisslösungen, erklärte der IHS-Chef Bonin. Bei einem hastigen Konjunkturpaket drohten die Mittel zu verpuffen. Wie Felbermayr warnte er davor, mit einem harten Sparpaket den Konjunkturmotor abzuwürgen. Mittelfristig seien aber ausgabenseitige Massnahmen nötig, wobei beide Ökonomen unter anderem das Pensionssystem nannten und vorschlugen, den zum Ausgleich der CO2-Steuer geschaffenen Klimabonus wieder abzuschaffen. Kurzfristig seien aber wohl auch Steuererhöhungen nötig, erklärte der Wifo-Chef und nannte als sinnvolle Beispiele etwa die Anhebung der seit Jahren nicht an die Inflation angepassten Mineralölsteuer oder der Grundstücksteuer. Das wäre eine Form der Vermögensbesteuerung, die nicht durch Wegzug umgangen werden kann – und allenfalls eine Möglichkeit in den Koalitionsverhandlungen, um der SPÖ einen Erfolg zum Preis von anderweitigen Konzessionen zu gönnen. NZZ, 5. Oktober 2024, S. 23.

Kommentar: Wäre Östereich aus der EU ausgetreten, würden die Medien-Main-Stream-Kommentatoren die wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch den EU-Austritt erklären - ohne nähere Begründung. Umgekehrt fiele es ihnen nie ein, Österreichs Probleme ohne Begründung durch die EU-Mitgliedschaft zu erklären. Gewiss ist: Ein Austritt aus der EU garantiert nicht eine gute Politik, sie ist aber wohl die Voraussetzung dafür.

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